Absinthique
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12. August
Die Expedition ist ein Fehlschlag, nichts als ein grausamer Fehlschlag. Wir sind den ganzen in der Höhle herumgeirrt und haben kaum etwas gefunden - oder mehr als genug, je nachdem, wie man das sehen will.
Wir rafften am Morgen unsere müden Knochen zusammen, das Feuer aus Negeraas schwelte nur noch und keiner der Satansbrut ließ sich blicken, dank Berthold Schwarz' und Alfred Nobels Erfindungen. Nur sieben von unseren Negern haben den Kampf überlebt, darunter Cocu und nur drei von uns: Jerôme, Bradley und ich. Zum Glück haben wir noch Lampenöl und Fackeln.
Die Höhle erweiterte sich rasch zu einem System von grob behauenen Gängen, in dem wir uns nur dank Rußmarkierungen nicht verirrten. Wir merkten rasch, welches Gesindel hier sein Unwesen getrieben hatte - in einem Raum waren stinkende Felle gelagert, wie sie die Horde trug, die Burro gesprengt hat. An einigen war noch ein Rest Tier; doch konnten wir nicht bestimmen, welches. Vermutlich gehört es einer unbekannten Gattung an. In diesem Raum lag auch der Schädel eines Menschen, der offenbar mit einem Keulenhieb vom Leben in den Tod befördert worden war. Es sollte nicht der letzte bleiben.
Schon in der nächsten Halle lagerten Gebeine, die fein säuberlich sortiert waren - menschliche Oberschenkel, menschliche Schienbeine, menschliche Wadenbeine, menschliche Oberarmknochen und so weiter. Viele wiesen Frakturen auf, fast immer an den selben Stellen (zum Beispiel Tibiakopf) und zum Teil mit eindeutiger Kallusbildung - diese Brüche müssen mit Absicht zugefügt worden sein und die Opfer müssen noch einige Zeit gelebt haben, bis ihr Schicksal ihre Gebeine doch in diese Halle führte.
Wir durchstöberten die Höhle Abschnitt für Abschnitt und entdeckten eine Scheußlichkeit nach der anderen. Manchesmal waren es vermutlich nur eklige Zutaten ekler Riten, wie Krüge mit widerlich riechenden, zähschleimigen oder blubbernden Flüssigkeiten, riesige tote Spinnen, ein Gehänge schleimiger Pflanzen oder ein Mörser mit grauen Beeren und elfenbeinernem Stößel. Immer wieder aber stießen wir auf Knochen jedweder Gestalt - Vogelknochen, Körbe mit abgetrennten Hühnerfüßen, Crocodilszähne und Menschenknochen, Menschenrippen, Menschenschädel.
In eine Raum hingen menschliche Gliedmaßen an Schnüren von der Decke herab - Beine, Arme, aber auch Bruststücke und Negerköpfe. Fast alle trugen Kratz- und Schürfwunden sowie Blutergüsse. Ich meinte dort, Schreie zu hören und schrieb dies meiner überreizten Phantasie zu, doch merkte auch Jerôme auf und lauschte. Es war kein Irrtum. Wir folgten den Geräuschen und stießen auf die Zellen.
An einem langen geraden Gang waren in regelmäßigen Abständen Gitter aus massiven Hölzern in die Wände eingelassen, dahinter lag jeweils eine kleine Höhlung und in vieren davon entdecken wir tatsächlich Menschen! Einen ausgemergelten, noch recht jungen Neger fanden wir zuerst; er lag in seinen Exkrementen auf dem Boden und stöhnte leise. Als er uns hörte, richtete er große, weiße Augen auf uns und wandte sich dann mit einem Entsetzenslaut ab. Sein Rücken ist wie von Klauen zerkratzt. In einer zweiten Zelle lag eine noch jüngere Negerin, die noch ziemlich kräftig schien, aber die Augen geschlossen hatte und uns offenbar nicht wahrnahm. Als drittes stießen wir auf einen älteren Mann; der mit Eisenstäben durch Bauchhaut und Wangen an die Wand genagelt war und der als einziger keine Furcht vor uns zeigte. Vielmehr zischte er durch seine von Stangen offengehaltenen Lippen Worte, die Cocu offenbar sogar verstehen konnte, jedenfalls brachte er vor, daß man diesen Mann unbedingt befreien müsse. Jerôme überlegte einen Moment, dann sagte er zu uns "Jeder Träger hilft" und bedeutete Cocu, die Holzstäbe zu zerschlagen. Ich sagte ihm nicht, daß dieser Mann, wenn er überhaupt überlebt, in absehbarer Zeit nichts tragen würde. Jerôme war von seiner Idee so angetan, daß er zwei anderen unserer Neger befahl, die weiteren Gefangenen zu befreien.
Die Quelle des Schreiens war aber keiner von den dreien. Wir gingen also weiter und kamen an diversen Toten vorbei - teils erschlagen, teils erstochen, teils offenbar an Auszehrung gestorben. Einem war es offenbar gelungen, sein Gitter anzubrennen und deshalb war er mit brennenden Pfählen gegen ein Holzbrett genagelt worden und einer war an seinem eigenen Kot erstickt, jedenfalls war seine besonders winzige Zelle bis unter die Decke damit gefüllt.
In der allerletzten Zelle fanden wir dann den Schreier. Es war ein Weißer oder zumindest, was davon übrig war. Auf dem Boden lag ein Rumpf mit Kopf daran, ohne Beine, ohne Arme, ohne Ohren, ohne Nase, ohne Augen. Eine fette Ratte zerrte immer wieder an einem der Oberschenkelstümpfe, was den Leib jedes Mal zu schreien veranlaßte. Die Zunge hatte man ihm offenbar gelassen. Jerôme nahm seine Pistole und erschoß ihn.
Schließlich betraten wir, während unsere Neger ihre befreiten Genossen mit sich schleppten, eine Halle, die größer war als die anderen und sehr hoch reichte und wir blieben unwillkürlich stehen. Nicht wegen erneuten Grauens - das war hier zwar auch vorhanden, doch auf eine andere Art. Im Gegensatz zu den übrigen Räumen, die wir gesehen hatten, herrschte hier jedoch eine gewisse Ordung und Regelmäßigkeit, die über die technische Ordnung von Gebeinhaufen hinausging.
Aus dem Felsen heraus gehauen und über und über umlaufen von den schwarzen schmalem glänzenden Schlieren, die mir bereits an der Außenseite des Felsens aufgefallen waren, stand eine Art steinerner Altar in der Mitte der Halle. An allen Seiten waren kleine Nischen in die Wand gelassen, in denen Kerzen standen, nicht aus Bienenwachs, sondern aus einem merkwürdigen, rötlichen, bröckeligen Material. Jedoch waren es eindeutig Kerzen, sie hatten einen Docht. Weitere, größere Nischen waren in die unteren Wandhälften geschlagen. Darin lagen seltsame Wedel aus Federn und Haaren, tierische und menschliche Schädel, darunter auch Kinderschädel; riesige Käfer und das Horn eines Rhinozeros, ein Schweif, der wie ein Löwenschweif aussah, doch gäntzlich schwarz war; sich merkwürdig umschlingende steinerne Statuen und knöchern-lederne Trommeln. Von einer Wand hing eine große grüne Schlange herab, von einer andern etwas, das wie ein Bündel Schweinsdärme aussah - oder andere Därme.
Über uns war plötzlich Geflatter zu hören. Vom aufsteigenden Rauch, vielleicht auch von Licht und Wärme geweckt, flatterte ein ganzer Schwarm Fledermäuse über unsere Köpfe, drehte einige Runden, flog dann über den Altar und war verschwunden. Es kam mir vor wie ein Zeichen, sich zu beeilen und die anderen hatten den gleichen Eindruck. Wir starrten auf den Altar.
In der Mitte des Altars stand ein merkwürdiges steinernes oder lehmiges Etwas, fast wie eine Statue, mit einer Art Bastschirm auf dem Kopf und mit einer Klappe aus Leder. Es schien grünlich von innen her zu leuchten. Zu seinen beiden Seiten standen ebenso merkwürdige Figuren, die entfernt an Basilisken oder an die Knochentiere in Stein erinnern, die jüngst in Schiefergruben ausgegraben wurden. Außerdem stand auf einem hölzernen Schemelchen ein Gefäß, in dem eine grünliche Flüssigkeit schimmerte - sie roch nach Ziegen, doch war dies sicher nicht ihr einziger Bestandteil. An den Ecken des Altars ruhten Schädel auf beinernen Stützplatten. Den Schädeln war ein Schnitt etwa in Höhe des Oberrandes der Hinterhauptschuppe gelegt worden und in der Hirnschale schwappte Blut - es war kalt, doch merkwürdigerweise nicht geronnen.
Ich schluckte. Bradley schluckte. Selbst Jerôme räusperte sich und sprach dann:
"Nun, wir finden das Elfenbein offenbar nicht. Aber hier gibt es auch jede Menge Dinge, die in Europa ne Menge wert sind. Zum Beispiel das Nashornhorn dort. Und für dieses Teil da sollten wir doch auch ne Menge bekommen."
Es war das Eingeständnis einer Niederlage, einer bitteren und teuer erkauften Niederlage. Um es zu überspielen, schritt Jerôme auf den Altar zu und nahm "dieses Teil da" in die Hand.
"Mächtig schwer", murmelte er. "Was da wohl leuchtet?" Er zupfte an der Lederklappe und spähte ins Innere. "Nichts richtiges zu sehen..." Er zeigte es Bradley und mir und auch Cocu warf einen Blick, während die anderen Neger sich gar nicht in die Halle getraut hatten. Jerôme hob noch einmal die Stimme: "Packt das alles ein!"
Und das war es, was wir taten, wir selbst, denn unsere Neger waren nicht dazu zu bekommen. Wir holten sämtliche Kisten, warfen Entbehrliches fort und packten den Plunder der Fellneger ein. Auch wenn ich weiß, daß das Zeug wissenschaftlichen Wert besitzt, bin ich doch bitterst enttäuscht und die anderen vermutlich noch mehr.
Denn selbst wenn es irgendwo einen Berg aus Elfenbein gibt, selbst wenn wir Mbene k'Ulumbos Hort gar nicht gefunden haben, wir werden ihn auch nicht mehr finden. Wir können nur noch schleppen, was wir haben und uns auf den langen Weg zurück machen, durch unbekannte Gegenden und müssen froh sein, wenn wir heil zu Hause ankommen.