Absinthique
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11. August
Der Weg hat sich verbreitert und knapp voraus sieht man, daß er plötzlich mit Steinen ausgelegt ist. Wir scheinen uns entweder einer Hauptstrasse zu nähern - obwohl schon der Weg, den wir bisher gegangen sind, für Negerverhältnisse hervorragend war - oder aber wir sind am Ziel! Jerôme hat halten lassen - was, wenn man uns angreift? Wir sind nur noch 4 Weiße und knapp 20 Neger. Jerôme hat die Ersatzwaffen an die vertrauenswürdigsten Neger austeilen lassen; Boy hat Le Culs Gewehr, Cocu ebenfalls ein Gewehr. Burro trägt unser Dynamit. Es gibt kein Zurück.

Abend
Hinter mir Fels. Oh Gott, was bin ich froh über eine sichere, nicht trügende Wand hinter mir! Wenn ich über die Lichtung sehe, sehe ich einen rauchenden Haufen aus Negergedärm, linker Hand neben mir beißt Bradley die Zähne zusammen, rechts zerschmetterte Hütten und der erbärmliche Rest der Negertruppe klagt und hustet dazwischen ob ihrer Verletzungen und ob des süßlichen Qualmes. Es war grauenhaft. Ich zittere. Meine Hand zittert und dabei habe ich von allen wohl am meisten Glück gehabt.
Es war keine Hauptstraße, es war tatsächlich unser Ziel oder aber etwas anderes total verdrehtes und abartiges. Wir gingen wachsam, die Gewehre im Anschlag, die steinerne Straße entlang, die sich abrupt, hinter einer Kurve, zu einer Lichtung weitete. Um die Lichtung herum stand ein Negerdorf - oder besser gesagt, eine Ansammlung von Hütten und von steinernen Behausungen, die ersten Steinbauten, die ich von Negern errichtet sah. Sie wirkten merkwürdig schief, jedoch nicht wie falsch gebaut, sondern in einem eigenen, bizarren Stil, dem eine nicht ganz faßbare Logik innewohnte. Wo die ersten dieser Hütten standen, weitete sich die Straße zu einem Platz, ganz mit Steinplatten ausgelegt, in welche seltsame Symbole geritzt waren. Jenseits des Platzes war ein Fels, und was für ein Fels! Er erhob sich wohl zweihundert Schritt über die Wipfel und war nicht rötlich, lehmig oder braun, sondern aus einem merkwürdigen, schlackenartig emporgewundenen Gestein, teils glänzend, schwarz, wie gebrannt, sich in krummen Linien wie Schlangen in die graugesprengelte Grundsubstanz wühlend, als wären schmale Flammenzungen aus der Erde oder aus dem Gestein selbst emporgeschossen und hätten es versengt. Wir hatten diesen Brocken nur nicht gesehen, weil der Weg zuvor eine Kurve gemacht hatte.
Jedoch blieb uns nicht viel Zeit, den Anblick zu genießen. Auf dem Platz tummelten sich mehrere Neger, einige halbnackt, einige aber in faulige Felle gehüllt, deren ursprüngliche Träger nicht mehr zu identifizieren waren. Jerôme trat vor, einen unserer Neger an jeder Seite, die Perlen, Draht und unseren restlichen Stoff als Geschenke trugen. Wir hatten aber schnell das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Die Nackten stießen Schreie und Grunzlaute aus und griffen zu ihren Speeren; die Fellneger aber bewegten sich langsam in die Mitte und sprachen überhaupt nicht, ein Detail, das mein Unterbewußtsein registrierte. Nun, wir hatten ähnliches befürchtet. Jerôme gab unseren Negern ein Zeichen, die Geschenke abzulegen, was eher an ein Fallenlassen erinnerte, hieß uns dann langsam zurücktreten und begann zu sprechen. Seine Stimme hatte ja immer einen gewissen Eindruck hinterlassen, ja Macht über die Neger ausgeübt; hier aber versagte sie vollkommen. Noch bevor er einen Satz vollendet hatte, flogen drei Pfeile, einer davon erwischte den größeren der beiden Geschenkträger an der Schulter. Jerôme hatte nicht einmal Zeit, das Signal zum Angriff zu geben, da feuerte Boy seinen Lauf leer und streckte, obwohl an der Waffe ungeübt, zwei der Speerneger nieder. Das wirkte besser als ein Trompetenstoß; ein Speerhagel antwortete uns und unsere Gewehre spien Feuer in die Negermasse hinein. Ich hatte 70/71 nicht am Krieg teilnehmen müssen und so war diese Situation völlig ungewohnt für mich und etwas ganz anderes als eine Schlägerei oder eine Fechtpartie, ich brauchte bestimmt eine halbe Minute, um einen sicheren Schuß abzugeben, ohne die vor mir im Knien Schießenden zu gefährden, und dann fehlte ich meinen Neger, der, auf mich zu rasend, in Bradleys Feuer verging. Eine erste Atempause trat ein, die Neger waren offenbar all ihre Speere losgeworden, wir mußten teilweise nachladen; ich feuerte nun meine Schüsse ab und traf auch. Vor uns tobte die Horde teils angeschossener, teils in Raserei verfallener Neger; es stank nach Pulver und Blut und ich bemühte mich nachzuladen, sah dabei in einem seltsamen Moment von Klarheit durch die Brut hindurch auf die befellten Neger, die ganz ungerührt vor dem Felsen standen und konzentriert nichts zu machen schienen; jedenfalls schauten sie gar nicht uns. Ich lud fertig und legte eben wieder an, um einem tollwütig umher tanzenden Neger den Rest zu geben, da sah ich, wie die Fellneger sich plötzlich umdrehten, aus dem Felsen hinter ihnen schien ein schwarzer Mund zu wachsen und um mich herum begann ein Heulen, wie es die schlimmste Hyänenbrut nicht zustande bringt. Ich wandte meinen Kopf und sah etwas, das ich nie wieder sehen will und möge ich auch 100 Jahre werden... Ich sah einen unserer Neger, der sich den Kopf hielt und ich sah - bei Gott, ich schreibe die Wahrheit! - wie sein Kopf scheinbar größer wurde, wie seine Augen aus den Höhlen traten, Adern in ihnen platzten, der Neger schrie wie am Spieß, sein Kopf wurde noch größer, so daß sich Lücken im Haar auftaten und im nächsten Moment platzte der Schädel einfach, so daß sein Gehirn mehrere Ellen weit umher spritzte, auch über mich und mein Gewehr. Ich wundere mich, welche Kaltblütigkeit ich bewahrte und machte Burro, der jenseits des Negers stand, ein Zeichen. Burro hatte es auch gesehen. Bisher hatte er sich auf seine Büchse verlassen, nun aber nahm er schwer atmend das schon in Bündeln vorbereitete Dynamit, brannte es mit erstaunlich ruhiger Hand an und stürmte durch das Chaos in Richtung der Fellneger, kam erstaunlicherweise unbeschadet hindurch und schleuderte das Bündel auf die stinkende Horde. Sie hatte ihn gar nicht beachtet und wandte ihre Aufmerksamkeit auch nur flüchtig dem zwischen sie kollernden Pakete zu. Burro hatte die Zünddauer schlecht berechnet, was ich ihm angesichts der Lage nicht übernehmen kann, obwohl er es vermutlich auch unter ruhigeren Umständen... Nein, de mortuis nil nisi bene. Jedenfalls ignorierten sie das Dynamit und den sich langsam wieder zurückziehenden Burro, bis ersteres explodierte und aus den Negern einen Haufen blutigen Fleischsalats machte. Burro drehte sich um, die Faust triumphierend in die Höhe gereckt. Im gleichen Moment kam ein Pfeil von nirgendwo her angesegelt und traf ihn von hinten durch die Brust, auf der rechten Seite und er stürzte zu Boden.
Nur zwei oder drei außer der Fellhorde bemühten sich, ihre zerschmetterten Knochen fortzuschleppen; zu diesen gingen Bradley und Boy, beide mit furchtbarer Ruhe und schossen ihnen seelenruhig mit Pistolen in den Kopf. Einer war noch einigermaßen gut zu Fuß. Boy verfolgte ihn und hob die Pistole, als sich der Wilde umdrehte und den Arm gegen ihn hob. Der Schuß knallte und zugleich fing Boy an zu bluten; wie ein Springbrunnen, aus Nasen, Augen, Ohren zugleich. Er hob die Hände zum Himmel und fiel um. Im selben Moment muß ich auch gestürzt sein; ich erinnere mich jedenfalls an nichts mehr.
Als ich erwachte, lehnte ich an der Felswand. Neben mir saß Bradley, dem offenbar eine scharfe Waffe den Unterarm verletzt hatte und vor mir brannte ein Feuer. Es roch beißend scharf und süßlich und ich brauchte eine halbe Minute, um zu begreifen, daß es der Negermoloch war, der da brannte - eine Haufen aus Leibern und Leiberresten, erbärmlich stinkend. Am Rande des Feuers lag eine krumm geschnürter nackter Neger, der nur noch einen Fuß hatte, das andere Bein war am Schenkel abgeschnürt. Er mühte sich verzweifelt, vom Feuer wegzukommen. Plötzlich stand Bradley auf, ging zu ihm hin und schien ihn mit einem Ast zwischen die Pobacken zu brennen, dann ging er einige Schritte zurück. Plötzlich explodierte der untere Teil des Negers, der Rest zappelte noch kurz und lag dann still. Bradley kam zurück. "Es war der letzte", erklärte er lakonisch; "ich dachte, Du willst auch noch etwas davon haben." Ich drehte mich weg. Bradley schien mir bisher der würdevollste von uns allen zu sein, doch ist er offenbar im Inneren noch schlimmer als Kees.
Während ich eben schrieb, kam Jerôme herbei und forderte mich auf, das Dorf zu durchsuchen. "Cocu hat keinen Lebenden mehr gefunden", sagte er. "Laß uns sehen, was diese Hütten und vor allem die Steinhäuser zu bieten haben."
Um es kurz zu machen: Es war eine Enttäuschung. Die Hütten enthielten einen Haufen Negerplunder, einige rechte fein gearbeitete Gegenstände und Stoffe, die denen, die wir als Geschenke mitgebracht haben, sogar überlegen sind - aufwendig gearbeitet und zum Teil sehr alt wirkend und für einen Archäologen vielleicht wirklich interessant - aber nicht das, weswegen wir gekommen sind. In den Steinhäusern gab es noch absurdere Dinge - merkwürdige abstrakte Kunstwerke, teils mit Augen und Greifwerkzeugen, doch ohne richtige körperliche Gestalt. Nur wenig davon ist aus Elfenbein und nichts aus Gold.
Jerôme war nicht einmal sehr enttäuscht. "Ich habe es mir gedacht", erklärte er. "Hier haust kein Gott. Wir müssen in der Höhle suchen."
Im Felsen ist ein breiter Eingang, der offenbar tief ins Innere führt. Ich will nicht, aber Jerôme ist fest entschlossen. Wie schrieb ich doch: Es gibt kein Zurück.
So sitze ich hier und meine Zeit der Wache neigt sich dem Ende zu. Mehrfach wäre ich fast eingeschlafen, trotz allem, was geschehen ist. Nun werde ich Bradley wecken. Ich habe seinen Arm verbunden; sämtliche Beugesehnen sind durchtrennt, er wird nie wieder die Finger schließen können. Bradley Kopf ruht auf einem Negerfuß.
Welchen Preis ist das Elfenbein wert?